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Tom Litwan, Schweizer Aargau

  • Autorenbild: Laurenz Möseler
    Laurenz Möseler
  • 17. Mai
  • 5 Min. Lesezeit

Oberhof, Aargau

Tom Litwan: Rising Star im deutschschweizer Kanton Aargau, zwischen Basel und Zürich, an der deutschen Grenze (Baden). Östliche Ausläufer des Jura-Gebirges prägen die Böden. Die Aare und ihre Nebenflüsse stärken die landwirtschaftliche Relevanz des Kantons. Tom, eigentlich gelernter Maurer, entschließt sich hier 2006 auf 2 Hektar ein Mikro-Weingut zu gründen. Wie kommt das? Nach seinem Lehrabschluss probiert Tom sich in der Hotellerie und landet für 3 Jahre an einem Schloss im Chablis. Dort entdeckt der “Bub für alles” seine Leidenschaft für guten Wein und die nachhaltige Bewirtschaftung. Heute keltert Tom auf 8 Hektar (Demeter zert.) Weine der Spitzenklasse. Authentisch, puristisch, kompromisslos.


Die Schweiz. Mit einer Rebfläche von knapp unter 15.000 Hektar ein winziges Weinland. Selbst wir in Österreich verfügen über die dreifache Rebfläche! Dazu kommt, dass nur etwa 2 (!) Prozent des produzierten Weins überhaupt exportiert werden (meist nach Deutschland oder Übersee). Heißt, beinahe alles der ohnehin kleinen Produktionsmenge wird direkt im Land konsumiert. Die Schweiz keltert bekanntlich Wein auf Topniveau, von Genf bis zum Bodensee und in die Alpen hinauf. Allerdings in Mini-Skalierung. Durchschnittliche Rebfläche pro Betrieb: 1-2 Hektar. Ein Kleinstanteil verfügt über mehr als 10 Hektar. Die Mehrheit sind landwirtschaftliche Familienbetriebe, die Wein als Nebenerwerb betrachten. Damit ist Export für die Meisten einfach kein Thema. Der Absatzmarkt liegt vor der Haustür.


Umso mehr freuen wir uns, wenn wir doch mal etwas zum probieren in die Hände bekommen. Oder uns in die Hände gedrückt wird, so wie in diesem Fall. Tom Litwan, Rising Star aus dem deutschschweizer Aargau war 2018 in Wien, wir erinnern uns zurück, die Schweiz als Gastland auf der Vievinum. Hurra! Die Euphorie wird noch größer, als Tom bei der Afterparty im Heunisch&Erben ein paar Kostflaschen deponiert. Gefällt uns. Großer Wein! Wollen wir. Dann Covid – erstmal Funkstille. Doch endlich ist es soweit. Vier Pinots aus Toms kleinen, alten Parzellen, verstreut an der westlichen Aargau im Jura-Gebirge, das von der nördlichen Schweiz bis ins namensgleiche französische Weinbaugebiet reicht.


Mit seinen Weinen bringt Tom die einzigartigen Charakteristiken des Aargauer Terroirs zur Geltung – eine kühle Gegend, die für seine feinen, eleganten Weine bekannt ist. Diese 4 Pinots könnten kaum unterschiedlicher sein. Wir durften sie im April im Rahmen einer Verkostung in unserer Bar nebeneinander ausschenken und waren verblüfft von der Klarheit und Charakterstärke jedes einzelnen Weines. Von klein bis groß. Auf diesen Entdeckungen wollen wir nicht sitzen bleiben. Darum folgt ein Rundown - aber erst klären wir zwei Begriffe - für die Neugierigen.


Tom spielt sich gerne mit Ganztrauben, also Pressung und Gärung inklusive Stiel und Stängel. Klingt vielleicht freaky, war aber vor der Verbreitung der Entrappungsmaschine mit Mitte letzten Jahrhunderts ganz üblich. Händische Entrappung ist natürlich eine Mordsarbeit. Aber darum geht’s nicht. Die Entscheidung wurzelt in der Physik. Temperatur, Alkohol, Farbe, Tannin, Säure, Frische, Tiefe!


Die Präsenz sogenannter “Rappen” im Gärbehälter erlaubt den Beeren mehr Raum und Luftkontakt, folglich bessere Temperaturregelung während der Gärung, ein Punkt vor allem wenn diese ohne strikter Temperaturkontrolle erfolgt. Infolgedessen reduziert sich das Risiko auf Weinfehler und sogar Alkohol bildet sich langsamer - und auch weniger!


Ein instinktiver Kritikpunkt vieler Menschen gegen Grünzeug im Gärtank ist die Angst vor einer Abgabe unreifer oder eben grüner Aromatik. Bei nachhaltiger Bewirtschaftung und Nutzung von selektierten, ausschließlich reifen, gesunden Stielen ist das kein Thema. Schonende Extraktion im Pressvorgang kann durchaus minimal höhere Tanninwerte im Wein erbringen, was aber z.B. mit einer ausgedehnten Maischegärung und festerer Presse niemals mithalten könnte. Stichwort Parker-Ära.


Wenn wir Toms “Unterem Berg” in der Bar ausschenken fällt sofort die hellrote, himbeersaftige Farbe auf. Von der geschmacklichen Überschneidung mal abgesehen, können wir auch das auf die Ganztraube zurückführen. Die Rappen entziehen nämlich auch Farbstoffe. Dafür geben sie Kalium und Calcium ab, fördern so die Ausscheidung von Weinstein und eine natürliche Entsäuerung des Mostes, was ein runderes Empfinden der Weinsäure bringt. In Kontrast zu Farbe und niedrigerem Alkohol finden wir eine “tiefere” Aromatik, ein komplexeres Mundgefühl.


Ok. Zweiter Punkt, die ganzen Beeren. Tom hat im Gärtank, neben seinen Ganztrauben (mehrere Beeren an einem Traubengerüst, die ja gemaischt werden um den Gärprozess zu starten) auch ganze, also in diesem Kontext unversehrte, einzelne Beeren (das, was wir gern “Traube” nennen). Diese werden also ins Säftchen ihre Kompanen gelegt. Der nächste Schritt ist ein faszinierender. Die verschlossene Beere startet durch eigene Enzyme eine intrazelluläre, also “innere” Gärung. Nach ein bis zwei Wochen platzt die Beere auf und gärt daraufhin klassich weiter. Diese uns aus dem Beaujolais bekannte, dort in Massenproduktion oft mit Co2 enforcierte Gärung (maceration carbonique) hat einen springenden Zweck: den Spaßfaktor. Es entstehen aromatische, früher antrinkbare Weine. Wie hoch der Anteil dieser ungemaischten, intrazellulär vergärenden Beeren sein soll, ist natürlich recht einfach zu variieren. Und das macht Tom, auch, je nachdem, wie seine Vision eines jeweiligen Weingartens es verlangt.


In dem Sinne!

Obermumpf "Unterem Berg"

Unser Aushängeschild von Toms Lagenwelt ist die Riede “Unterem Berg” in Obermumpf. Diese Parzelle hat er in 2022 von einem Winzerkollegen übernommen und sogleich die Umstellung zu Demeter eingeleitet.


Hier wachsen auf 1 Hektar ausschließlich Schweizer Pinot Klone, Pflanzjahr 1980.


Spontane Gärung für ungefähr 2 Wochen mit etwa 20% ganzen Trauben, der Rest abgebeert, aber nicht gequetscht. Danach 12 Monate Ausbau im meist gebrauchten Burgunder Pièce (228l). Sedimentation und Zusammenlegung in Edelstahl, bei der Abfüllung minimale Schwefelung für Stabilität.


 Wie schmeckt das? Auf der Nase haben wir Kirsche, Erdbeermarmelade, viel Saft. Am Gaumen dann mehr Tiefe als man erwartet, das ist cremig, samtig, schon mit saftiger Struktur, feines Tannin, packt zum Abgang zu und macht mit rassiger Säure Bock auf den nächsten Schluck. Es bleibt ein Nachgeschmack von Sauerkirsche und rotem Apfel. Yummy.


Elfingen "Rüeget"

Die Elfinger “Rüeget” bietet einen dunkleren Konterpart zum “Unterem Berg”. Ein etwas niedrigerer, freiliegender Weingarten ist das, der kühlt weniger herunter als die anderen. Resultiert am Gaumen mit viel Brombeere, Cassis, mit mehr Druck und präsenterem Gerbstoff, der immernoch extremst fein ist. Straffe Säure, angenehme Fülle, wieder etwas cremig marmeladiges, trotzdem kühl. Genial zu Schmorgerichten!


Auch hier ausschließlich Schweizer Klone, Pflanzjahr 1986.


Spontane Gärung für ungefähr 2 Wochen mit etwa 20% ganzen Trauben, der Rest abgebeert, aber nicht gequetscht. Danach 12 Monate Ausbau im meist gebrauchten Burgunder Pièce (228l). Sedimentation und Zusammenlegung in Edelstahl, bei der Abfüllung minimale Schwefelung für Stabilität.


Thalheim" Chalofe"

In der “Chalofe” stehen Toms älteste Reben, mit Pflanzungen bis 1968 zurück. Wir finden sogar ein paar Burgunder Klone neben den üblichen Schweizern. Das ist ein spannender Punkt, weil eben dieser Wein auch sicherlich Toms “burgundischster” ist!


Spontane Gärung für ungefähr 2 Wochen mit etwa 20% ganzen Trauben, der Rest abgebeert, aber nicht gequetscht. Danach 12 Monate Ausbau im meist gebrauchten Burgunder Pièce (228l). Sedimentation und Zusammenlegung in Edelstahl, bei der Abfüllung minimale Schwefelung für Stabilität.


An der Nase machen wir noch einen Zwischenstop an der französischen Seite des Jura, diese jugendliche Leichtigkeit und verspielte Primärfrucht erinnern an die hellroten Hedonisten des Arbois. Der Gaumen zieht uns schließlich weiter an die Côte d’Or. Ein kühles Eck, feminin, geduldig, zeitlos. Erst mit ein paar Jahren Flaschenreife wird sich das volle Potenzial dieses Pinots zeigen, ein vibrierendes Säuregerüst und samtige Tanninstruktur prädestinieren ihn für Großes. Macht aber auch jetzt schon großen Spaß, wenn man ihm etwas Luft gibt. Hat was von Kirsch-Zartbitter. Romantischer Wein, darf man das sagen?


Oberhof "Haghalde"

Die Haghalde ist eine 0,9 Hektar kleine, kühle, karg-kalkige Anlage. 1992 mit Schweizer Pinot-Klonen ausgepflanzt.


Spontane Gärung für ungefähr 2 Wochen mit etwa 90%(!) ganzen Trauben, der Rest abgebeert, aber nicht gequetscht. Danach 12 Monate Ausbau im meist gebrauchten Burgunder Pièce (228l). Sedimentation und Zusammenlegung in Edelstahl, bei der Abfüllung minimale Schwefelung für Stabilität.


Das hat echt direkt was vom Jura. Bisschen dirty, viel Primärfrucht an der Nase. Ein Atemzug, dann erinnert das an modern-rustikalen Blaufränkischen vom Leithakalk. Die etwas dunklere Frucht, die Kräuterwürze. Stichwort auch Cabernet Franc, Saumur-Champigny (wieder Kalk). Am Gaumen dann messerscharf und doch wahrscheinlich der breiteste von Toms Pinots. Durchaus dunklere Frucht, wir sind wieder bei Brombeersaft, etwas Bitterschokolade, die Kirsche steht jetzt, jung und frisch geöffnet, erst noch etwas dahinter, wird aber mit Luft klarer. Ein großer Wein mit klarem Reifepotenzial.



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